Stellungnahme
zum Artikel „Warum Religionsunterricht abgeschafft gehört“ von Svenja Appuhn, veröffentlicht am 07.11.2019 im Weser-Kurier Bremen
Den Religionsunterricht unterscheidet in erster Linie vom Unterricht für Werte und Normen, dass die Religionslehrkräfte stellvertretend für ein bestimmtes religiöses Denksystem stehen. Sie sind auskunftsfähig und können einzelne Aspekte entsprechend einordnen. Mit ihrer ganzen Person stehen sie den Schülerinnen und Schülern als Diskussionspartner und Reibungsfläche zur Verfügung, einschließlich der eigenen Zweifel, offenen Fragen und Ungeklärtheiten. Denn Religionsunterricht ist eben nicht nur Religionskunde. Schülerinnen und Schüler können über maximal dreizehn Jahre durch die verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung hindurch ihre individuelle Position entdecken und verändern und zugleich die Pluralität von Sinnsystemen nicht nur religiöser Art wahrnehmen und im besten Fall akzeptieren.
Im Religionsunterricht werden unterschiedliche Sinnsysteme – von Immanuel Kant bis Peter Singer – und Deutungsmodelle – von Reinkarnation bis Auferstehung - vorgestellt. Es werden Experten anderer Religionen eingeladen oder außerschulische religiöse Lernorte aufgesucht, um authentische Begegnungen zu ermöglichen. Religionsunterricht ist wesentlich vielschichtiger und vielfältiger, als in Ihrem Artikel angedeutet.
Wir leben in Deutschland in einer in vielfacher Hinsicht heterogenen Gesellschaft. Diese Vielfalt macht unsere Gesellschaft bunt und kann eine Bereicherung für alle sein. Dies wird in jedem Bereich unseres Lebens deutlich: in Kultur, Sprache, Milieu, Handicap, Geschlecht, Religion und vielem mehr. Die Menschen sind verstärkt auf der Suche nach dem Sinn für ihr eigenes, ganz individuelles Leben. Und sie stellen sich die Frage, wie das Zusammenleben in unserer Gesellschaft aussehen kann. Die Vielfalt in unserer Gesellschaft ist eine große Bereicherung und sehr belebend. Heterogenität ist grundsätzlicher Bestandteil unserer Demokratie. Doch der Umgang mit dem wertvollen Gut der Heterogenität und der Demokratie will gelernt sein.
Der Religionsunterricht und das Fach Werte und Normen sind für Schülerinnen und Schüler bei der Sinnsuche eine unverzichtbare Unterstützung. Anhand der vielfältigen Unterrichtsthemen können sie so mögliche Denkweisen kennenlernen und eine eigene Position entwickeln. Diese Möglichkeit muss allen Schülerinnen und Schülern offen stehen. Deshalb ist eine flächendeckende Einführung von Werte und Normen als Ersatzfach für den Religionsunterricht unerlässlich. Deshalb ist der evangelische, katholische und konfessionell-kooperative Religionsunterricht aber auch offen für alle.
Als Fazit bleibt somit: Der Religionsunterricht ist gemeinsam mit dem Fach Werte und Normen unerlässlich für den Erhalt unserer Demokratie und die individuelle Freiheit im Denken jedes Einzelnen.
Kerstin Hochartz, Leiterin des Referats für Schule und Religionspädagogik und der Arbeitsstelle für Religionspädagogik der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, 19.11.2019